ÖHV: Was sind aktuell aus Ihrer Sicht hinsichtlich Arbeitsmarkt die wesentlichen Herausforderungen für die Branche?
Valentina Ultsch: Durch den hohen Bedarf an qualifizierten Mitarbeiter:innen sind die Ansprüche des Arbeitsmarktes sehr stark angestiegen. Mitarbeiter:innen aus unserer Branche sind auch für andere Branchen (zB.: Beratung) sehr attraktiv, denn besonders in der Gastronomie und Hotellerie herrscht ein hohes Dienstleistungsverständnis sowie Stressresistenz. Dadurch entsteht ein Wettbewerb auch über unsere Branche hinaus, der auch Themen rund um die 4-Tage-Woche und flexible Arbeitszeiten lauter werden lässt und es notwendig macht, darüber nachzudenken, ob und wie dies in unserer Branche machbar sein könnte. In jedem Fall bedarf es einer ganzheitlichen Herangehensweise der Arbeitgeber:innen an neue Mitarbeiter:innen, um Bedürfnisse und berufliche Ziele zu erkennen. Der klassische Obstkorb ist schon lange nicht mehr überzeugend .
Gerhard Wendl: Eine Herausforderung ist sicherlich, die Tourismusbranche für Arbeitnehmer*innen zu attraktivieren. Die Arbeitswelt verändert sich und die Branche muss sich verändern, möchte man als Unternehmen zukunftsfit für neue Arbeits- und Lebensmodelle sein. Mit dem früheren System funktioniert es nicht; das Tourismussystem der letzten Jahrzehnte ist passé. Wenn man in der Branche eine Zukunft haben will, muss man aus dem alten Mindset ausbrechen und gute Rahmenbedingungen für Mitarbeiter:innen schaffen. Es ist nicht einfach, Mitarbeiter:innen zu finden, vor allem im Westen Österreichs nicht. Oftmals fehlt es an wirklicher Motivation und Flexibilität bei Bewerber:innen.
ÖHV: Wo sehen Sie die größten Hebel seitens der Politik? Welche Potenziale könnten vielleicht bei günstigeren Rahmenbedingungen gehoben werden?
Valentina Ultsch: Die größten politischen Hebel sehe ich in der Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen, um die Qualifikation der Mitarbeiter:innen zu erhöhen. Darüber hinaus können steuerliche Anreize, wie z. B. Steuererleichterungen für Investitionen in nachhaltige Praktiken, die Rentabilität der Branche erhöhen und damit die Schaffung neuer Arbeitsplätze fördern. Auch die Überarbeitung und Aktualisierung der Arbeitsgesetze und -vorschriften wäre ein Mittel, um die arbeitsrechtlichen Anforderungen an die Bedürfnisse der Branche anzupassen und die Flexibilität in Bezug auf Arbeitszeiten und -bedingungen zu erhöhen.
Gerhard Wendl: Bei den Themen: Senkung der Lohnnebenkosten für untere Einkommen. Die Dienstleistung muss generell steuerlich entlastet werden. Und beim Thema "Integration": Öffnung des Arbeitsmarkts für bereits in Österreich befindliche Asylwerber.
ÖHV: Das Thema Mitarbeiter:innen-Mangel begleitet die Branche ja schon lange und viele Hoteliers/Hotelièren bieten ihren Mitarbeitenden mittlerweile sehr attraktive Rahmenbedingungen – von flexiblen und verkürzten Arbeitszeiten, Überzahlung bis hin zu Extra-Leistungen. Trotzdem ist die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit oft eine andere: Stichwort rauer Umgangston, schlechte Bezahlung, viele Überstunden. Wie können wir das Branchenimage nachhaltig verbessern?
Valentina Ultsch: Ich denke, die Branche sollte sich mehr öffnen und stärker über die Vorteile und attraktiven Arbeitsbedingungen sprechen sowie über die Tatsache, dass es kaum eine andere Branche mit so viel Abwechslung und Vielfalt gibt. Was unsere Mitarbeiter:innen, die aus anderen Sparten kommen, so begeistert, ist die Tatsache, dass es bei uns nie langweilig wird und sie immer etwas Neues lernen. Es gibt auch viele Entwicklungsmöglichkeiten im Tourismus und diese Schritte können viel schneller absolviert werden als in anderen Branchen, wenn Motivation und Engagement vorhanden sind.
Was die Löhne angeht, so brauchen wir uns nicht mehr zu verstecken. Bevor ich in den Tourismus eingestiegen bin, habe ich in verschiedenen Personalberatungen gearbeitet und die Gehaltsstrukturen vieler Branchen gesehen. Der Tourismus hat sich mittlerweile gut in der Mitte eingependelt.
Gerade im Tourismus müssen wir lauter über die Bedeutung von Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein sprechen. Wir können einerseits Mitarbeiter:innen ansprechen, aber gleichzeitig auch eine große Anzahl von Gästen und Partnern. Wir sind die erste Hotelgruppe in Österreich, die das ECO-Label hat, und wir sehen bei Bewerbern aus anderen Industrien, dass dies mittlerweile ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung für einen neuen Arbeitgeber ist.
Gerhard Wendl: Wir haben uns als JUFA Hotels die Frage gestellt: "Wie wollen wir in Zukunft als Unternehmen - aber auch als Arbeitgeber - wahrgenommen werden?" Um den Herausforderungen und neuen Anforderungen zu begegnen haben wir über 300 Mitarbeiter:innen im Rahmen unseres JUFA Zukunftsprozesses dazu aufgerufen, diesen aktiv mitzugestalten und ihre New Work-Ideen einzubringen, um daraus zeitgemäße und familienfreundliche Arbeitszeitmodelle abzuleiten, Gehaltsstufen zu attraktivieren und umfangreiche Entwicklungsangebote zu schaffen. So setzen wir neue Maßstäbe für den österreichischen Tourismus. „Der Mensch im Mittelpunkt“ ist bei uns ein Leitsatz, der stark im Unternehmen und in der JUFA DNA verankert ist und nun erfreulicherweise auch in einem eigenen Zukunfts-Kollektivvertrag. Von den wenigen schwarzen Schafen der Branche, müssen wir uns klar abkoppeln - bspw. eben über den erwähnten Kollektivvertrag. Es gibt viele Mitbewerber, die - wie wir - einen neuen Mindset schaffen wollen und Mitarbeiter:innen die verdiente Wertschätzung entgegenbringen.
ÖHV: Wie können wir die Jugend für eine Lehre im Hotel oder eine Tourismusschule begeistern und auch in der Branche halten?
Valentina Ultsch: Praktika und Ausbildungsprogramme können genutzt werden, um junge Menschen zu gewinnen und sie durch attraktive Bedingungen langfristig zu binden. Als Arbeitgeber:in muss man sich immer wieder selbst reflektieren und überlegen, wie man im Führungsteam aufgestellt ist und ob man für junge Menschen vorbildlich agiert und sie auch langfristig an sich binden will. Ich bin nicht der Meinung, dass Auszubildende nur "triviale" Arbeiten verrichten sollten, sondern gerade in der Ausbildungsphase die vielfältigen Karrieremöglichkeiten in der Hotellerie kennen lernen sollten.
Gerhard Wendl: Mit Entwicklungsmöglichkeiten beispielsweise: Einmal im Jahr werden unsere Lehrlinge und Auszubildenden zum Lehrlingscamp „Next Generation“ eingeladen. Dort erhalten sie wertvolle Informationen und Trainings rund um ihre zukünftigen Positionen. Spaß und Teamwork dürfen natürlich nicht fehlen. Wir bieten aber auch Auslandspraktika an. Im Laufe der Lehre macht man mehrere Praktika an anderen JUFA Standorten, lernt die Ferien-Hotellerie ebenso kennen wie auch die Stadt-Hotellerie. Nach der Lehre kann man im Rahmen des aufbauenden Talenteprogramms weitere Ausbildungsangebote in Anspruch nehmen, um noch mehr Erfahrung zu sammeln. Mentoren und Coaches unterstützen unsere Mitarbeiter:innen auf dem Weg zur Führungskraft.
Auch den Lehrlingen eine Perspektive zu geben und ihre Arbeit wertzuschätzen ist wichtig. Man hat nach der Lehre gute Möglichkeiten übernommen zu werden. Mitarbeiter:innen Befragungen haben gezeigt: Auch die Möglichkeit, sich bei uns im Unternehmen aktiv einbringen zu können, wird sehr geschätzt. Das hat auch der JUFA Zukunftsprozess gezeigt. Einige Ideen daraus wurden bereits umgesetzt und das motiviert Mitarbeiter:innen und treibt sie voran; es ist für sie sinnstiftend.
Man muss aber auch über eine Reform der Lehre nachdenken und eine Verkürzung der Ausbildungszeit.
ÖHV: Eine Antwort auf den Mitarbeiter:innen-Mangel ist die Digitalisierung von Prozessen, der vermehrte Einsatz von Robotern und künstlicher Intelligenz. Was halten Sie davon und wo sind für Sie die Grenzen?
Valentina Ultsch: In meinen Augen bietet die Digitalisierung mehr Chancen als Grenzen, wenn man sie mit genügend Wissen nutzt. Wir können Prozesse optimieren und das Gästeerlebnis verbessern. Repetitive Aufgaben können übernommen werden, was die Effizienz steigert und den Mitarbeiter:innen mehr Zeit für die Gäste oder andere Aufgaben gibt. Ich glaube auch nicht, dass die Digitalisierung relevante Arbeitsplätze in der Hotellerie ersetzen wird, sondern eine Hilfe sein kann, um Lücken zu füllen, wo Fachkräfte auch in den nächsten Jahren nicht in großer Zahl kommen werden.
Grenzen sehe ich bei künstlicher Intelligenz vor allem im Bereich des persönlichen Services und der menschlichen Interaktion, die gerade in der Hotellerie von entscheidender Bedeutung sind. Wir arbeiten in unserem Betrieb bereits mit Robotern, die unsere Frühstückskellner beim Abräumen der Tische unterstützen. Die Gäste finden das unterhaltsam und bringen dem Roboter freiwillig ihr Geschirr, wenn er gerade nicht da ist. Das entlastet unsere Frühstückskellner und gibt ihnen mehr Zeit, frische Kuchen zu backen und mit den Gästen zu sprechen.
Gerhard Wendl: Die digitale Transformation verändert die Art und Weise, wie wir arbeiten und daraus einen Mehrwert generieren. Die Digitalisierung ersetzt den Menschen nicht, sie erweitert vielmehr seine Möglichkeiten. So auch in der touristischen Dienstleistung. Bei den JUFA Hotels bedeutet das, den Mitarbeiter:innen mehr Zeit für den Service am Gast einräumen zu können. Wir investieren in die Digitalisierung, investieren aber auch in ein neues Berufsbild von Rezeptionist*innen als Erlebnis-Coaches.
ÖHV: Baustelle Arbeitsmarkt: Was ist Ihr Auftrag an die ÖHV?
Valentina Ultsch: Die ÖHV sollte weiterhin die Zusammenarbeit zwischen Hotels, Regierung und Bildungseinrichtungen fördern, um die oben genannten Herausforderungen zu bewältigen. Außerdem muss die Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität der Branche durch attraktivere Gesetze und Vorschriften gestärkt werden. Abschließend bin ich der Meinung, dass jedes Hotel mit unterschiedlichen Systemen und Prozessen arbeitet, weshalb die Ausbildung sehr stark vom Arbeitgeber abhängt. Gerade in diesem Bereich sollten Bildungsprogramme und Schulungen gefördert werden, damit die Mitarbeiter:innen die notwendigen Qualifikationen erhalten.
Gerhard Wendl: Lobbying für die Dienstleistungsbranche in Österreich zu machen. Der Charm und die Entwicklung des österreichischen Tourismus stehen am Spiel. Der Tourismus ist für Österreich neben der Industrie ein bedeutender Wirtschaftszweig. Österreich ist ein Tourismusland - man hat in Zeiten der Pandemie deutlich gesehen, was den Menschen fehlen würde, wenn es keine touristischen Dienstleistungen mehr geben würde.