Als ich in den Infinity-Pool des „Worlds Best Hotel Spa 2024“ sprang, fiel mir auf, dass ich die Einzige war, die kein aufwändiges Make-up, keine Föhnfrisur und kein Handy trug. Kaum hatte ich mich in einen kleinen Whirlpool gelegt, drängelte sich eine vierköpfige chinesische Familie dazu. Die Familie war mit Selfiesticks bewaffnet und begann ohne Vorwarnung Gruppenselfies zu schießen.
Entspannen kann heutzutage anstrengend sein …
Ich äußerte den Wunsch, nicht fotografiert zu werden, was aufgrund der Enge im Whirlpool unmöglich war. Mein Wunsch wurde bissig mit „Die happy!!!“ beantwortet, auf gut Deutsch: „Zieh Leine und stirb glücklich, du Spaßbremse!“ Dieses Erlebnis hat meinen Umgang mit Smartphone-Zombies evolutioniert. Ich reagiere inzwischen gelassen auf Menschen, die mit Föhnfrisur und Abend-Make-up in den Pool steigen, um sich mit dem Rücken zur Aussicht stundenlang selbst zu fotografieren. Ich nutze solche Momente als Resilienz- und Achtsamkeitstraining und genieße das Gefühl der Freiheit wie eine Nüchterne, die Menschen im Vollsuff beobachtet.
Ob es uns gefällt oder nicht, wir alle müssen menschlich und unternehmerisch akzeptieren, dass die Digitalisierung im Jahr 2024 Menschen hervorgebracht hat, die besondere Bedürfnisse haben. Das können wir nicht mehr ändern. Was wir ändern können und müssen, ist: wie wir darauf reagieren.
Welche Gäste will ich?
Keiner wird alle Gästegruppen glücklich machen, dazu sind die besonderen Bedürfnisse zu divers. Die Gretchenfrage lautet deshalb: Welche Gäste will ich? Plus: Wessen besondere Bedürfnisse kann, welche will und welche muss ich in Folge als Gastgeber:in befriedigen?
Ob das eine Selfie-Happy-Hour ist, eine Augmented Reality Brille, die beste Aussicht auch bei Nebel garantiert, während der Gast barfuß im Matsch steht, eine Rollator-Rampe für reiselustige Silver Surfer 80-plus oder die handyfreie Zone und das Essen bei Kerzenschein für das Digital-Detox-Hotel…
Alles ergibt Sinn, wenn es die Gäste glücklich macht, die man ansprechen will, und das ungebremst menschlich und gastfreundlich in allen Kanälen vom Check-in-Roboter bis hin zum Schild, das die Happy-Selfie-Hour kommuniziert.
Vor dem Infinity Pool des „Worlds Best Spa 2024“ steht so ein Schild. Dort werden die Fotozeiten kommuniziert: 10 bis 12 Uhr und 17 bis 19 Uhr.
Wer außerhalb dieser Zeiten Fotos macht, merkt sofort, dass derzeit noch echte Menschen hinter den Pool-Überwachungskameras sitzen. Binnen weniger Minuten kommt ein Spa-Mitarbeitender und erinnert freundlich an die Fotozeiten.
Wenn das nicht hilft, starte ich alle Über-Kopf-Massage-Duschen gleichzeitig, das spritzt jeden Smartphone-Zombie weg – ich bin halt auch nur ein Mensch.
Zur Autorin:
Anitra Eggler ist Digitalisierungsexpertin und Digital-Detox-Pionierin