Untersuchungsgegenstand
Die Arena Analyse ist ein Instrument, das von Kovar & Partners regelmäßig eingesetzt wird, um für ein Unternehmen oder eine Branche möglichst umfassende Informationen über das Umfeld und dessen Veränderungen zu gewinnen. Eine Arena Analyse verfolgt stets zwei Ziele: Zum einen geht es darum, frühzeitig sogenannte Emerging Issues zu erkennen, also wichtige Themen, bei denen sich Entwicklungen ankündigen, die Anpassungen erfordern. Das zweite Ziel besteht darin, einen 360-Grad-Rundumblick zu gewinnen, also blinde Flecken zu vermeiden und so auszuschließen, dass relevante Probleme übersehen werden.
Die Methodik, die dabei zur Anwendung kommt, baut auf der Issue Theorie auf. Issues – eine überzeugende deutsche Übersetzung für den Begriff gibt es nicht – sind Themen von allgemeiner Relevanz, die erstens aktuell und zweitens umstritten sind. Issues sind ungeklärte Fragen von öffentlichem Interesse, die Einfluss auf den Handlungsspielraum von Personen und Organisationen haben. Die Theorie besagt, dass Issues, bevor sie eskalieren, eine Latenzphase durchlaufen, in der sie den jeweiligen Fachexpert:innen bereits bekannt sind und in Fachkreisen auch bereits diskutiert werden, aber noch nicht die Schwelle zur Wahrnehmung durch eine größere Öffentlichkeit oder durch die Politik erreicht haben. In dieser Phase ist es daher möglich, durch Befragung einer ausreichend großen Anzahl von Expert:innen frühzeitig zu erfahren, welche größeren Themen unter der Oberfläche schlummern.
Zur Methodik gehört auch, dass die befragten Personen aus einer Vielzahl von diversen Gebieten stammen, um einen möglichst breiten Horizont an Beobachtungen und Erfahrungen einzubringen. Der Begriff „Expert:in“ darf hier nicht im engen Sinn als „Spezialist“ verstanden werden. Vielmehr macht sich die Arena Analyse die Tatsache zunutze, dass im Grunde jeder Mensch in seinem unmittelbaren Tätigkeitsbereich „Experte“ ist, weil man zwangsläufig Veränderungen früher erkennt als andere, wenn sie Dinge betreffen, mit denen man täglich befasst ist. Durch die ausreichende Streuung des Feldes der Befragten kann dieser Vorteil der Früherkennung in entsprechend vielen Bereichen gehoben werden.
Auch bei der vorliegenden Studie wurde eine ausreichende Vielfalt der fachlichen und gesellschaftlichen Bereiche angestrebt, zugleich aber darauf geachtet, dass die Befragten über Fachwissen oder Alltagserfahrung im Tourismus verfügen.
Das Untersuchungsdesign bestand aus den folgenden Schritten:
- Befragung von Expert:innen mit einer möglichst offenen Fragestellung, um das gesamte Feld der möglichen Issues einzubeziehen.
- Die Antworten der Expert:innen werden gesammelt und geclustert. Dabei sollen Muster offengelegt und die ursprüngliche Komplexität reduziert werden.
- Daraufhin erfolgt die Schlussauswertung. Das Ergebnis ist jener Bericht, den Sie hier in Händen halten.
Die konkrete Fragestellung lautete:
- Welche Veränderungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik werden sich in den nächsten Jahren auf den Tourismus in Österreich auswirken?
- Welche Veränderungen werden dadurch insbesondere in der Hotellerie ausgelöst?
- Welche Maßnahmen sollten im Hinblick auf diese Entwicklungen schon jetzt gesetzt werden – von der Politik, von der Hotellerie, von Tourismusorganisationen und anderen?
Die Antworten wurden zum Teil schriftlich im Wege einer Online- Konsultation auf der Plattform eComitee eingebracht. Zum Teil wurden auch Tiefeninterviews geführt. Die Beiträge auf eComitee konnten schon während der Erhebungsphase von allen zur Teilnahme Eingeladenen gelesen und kommentiert werden – eine Möglichkeit, von der auch tatsächlich viele Gebrauch machten.
Überblick
Wohl keine andere Branche wurde von den Krisen der Jahre 2020-2022 so hart getroffen wie Hotellerie, Gastronomie und Tourismus. Zunächst ließ die Covid-Pandemie weltweit die Umsätze im Reisebusiness gewaltig einbrechen. Nach den Erhebungen der Welttourismusorganisation (United Nations World Tourism Organization, UNWTO) lagen die touristischen Ankünfte 2020 weltweit um fast 80 Prozent unter den Werten von 2019. In Österreich betrug der Rückgang 45,8 Prozent bei Ankünften und 35,9 Prozent bei Übernachtungen. Das bedeutet, dass Auslastung und Umsätze der Hotellerie um mehr als ein Drittel zurückgingen. Im Jahr darauf sanken sie noch weiter ab und erreichten nicht einmal die Hälfte der Zahlen des Vorkrisen-Jahres 2019.
Als die Buchungslage wieder besser wurde und im Laufe des Jahres 2022 fast wieder das gewohnte Niveau erreichte, wurde der Personalmangel, der sich schon länger angekündigt hatte, zu einem massiven Problem. Zahlreiche Betriebe in Gastronomie und Hotellerie konnten bestehende Nachfragen nicht befriedigen, mussten also auf Wachstumschancen verzichten, weil sie nicht genügend Mitarbeiter:innen fanden, um den Gästen den nötigen Service zu bieten.
Im Februar 2022 marschierten russische Truppen in der Ukraine ein und verursachten mit einem beispiellosen Angriffskrieg – neben menschlichem Leid – eine Energiekrise und einen Inflationsschub. In vielen Betrieben warf allein die sprunghaft gestiegene Gas- und Stromrechnung sämtliche Kostenrechnungen über den Haufen, dazu kamen Kostensteigerungen zwischen zehn und zwanzig Prozent bei Gütern des laufenden Bedarfs.
Pandemie, Mangel an Mitarbeiter:innen, Energieknappheit, Teuerung – zählt man noch die Herausforderungen des Klimawandels dazu, so sind es nicht weniger als fünf Krisen, die derzeit von der Tourismuswirtschaft im Allgemeinen und von der Hotellerie im Besonderen simultan bewältigt werden müssen. Einige der Herausforderungen in der Liste sind zweifellos kurzfristiger Natur. So spricht zu Jahresbeginn 2023 alles dafür, dass Covid von einer Pandemie zu einer normalen Krankheit geworden ist. Abgesehen von China gibt es keine wichtigen Herkunftsländer mehr, aus denen potenzielle Gäste nicht oder nur mit großen hygienischen Einschränkungen nach Österreich reisen dürfen. Covid wird – so jedenfalls die aktuelle Einschätzung der zuständigen österreichischen und europäischen Behörden – auf absehbare Zeit keine katastrophalen Auswirkungen auf den Tourismus mehr haben, nicht einmal mehr Einschränkungen etwa beim Besuch von Bädern oder Bars erfordern. Die Inflation konnte auf einem erträglichen, wenngleich immer noch hohen Niveau eingedämmt werden, die Ökonomen gehen zudem davon aus, dass die Entwicklung im Laufe von 2023 berechenbarer wird, sodass zumindest die Unsicherheit wegfällt und wieder verlässliche Planungen möglich werden. Ebenso dürfte sich die
Energieversorgung bei weiterhin hohen Kosten stabilisieren, nicht zuletzt durch die raschen Fortschritte in der Nutzung von Alternativenergien. Beim Klimawandel und beim Personalmangel handelt es sich dagegen um dauerhaft bleibende Probleme, bei denen sich nur langsam gegensteuern lässt.
Den kurz- und langfristigen Veränderungen ist jedoch eins gemeinsam: Alle haben Auswirkungen auf die Struktur des österreichischen Tourismus und der österreichischen Hotellerie im Besonderen. Auch jene krisenhaften Einschnitte, deren Ende absehbar ist, erfordern Anpassungen, die über das Tagesgeschäft hinausgehen.
Dieser Anpassungsbedarf ist hoch, niemand kann es sich leisten, in so einer Situation auf „Business as usual“ zu setzen. Es wäre aber auch verfehlt, sich lediglich mit der Abwehr von negativen Einflüssen zu befassen. Im Gegenteil bieten die aktuellen Herausforderungen eine Reihe von Chancen, die der Branche langfristig Nutzen stiften können.
Die Krisenjahre haben eine Besonderheit der Reisebranche in den Blickpunkt gerückt: Es handelt sich um einen langfristig stabilen und kontinuierlich wachsenden Wirtschaftszweig, der jedoch gleichzeitig hoch empfindlich gegenüber kurzfristigen Störungen ist. Eine Epidemie (es muss gar keine großflächige Pandemie sein), ein Vulkanausbruch, eine allgemeine Rezession, ein schneearmer Winter oder auch nur eine längere Schlecht- wetterperiode können über Nacht die Nachfrage einbrechen lassen. Doch sind diese Einbrüche nie von Dauer. Jedes Mal zeigt sich, dass die Lust am Reisen nicht grundsätzlich abnimmt. Von einer Marktsättigung oder einem generellen Rückgang kann keine Rede sein. Wenn größere Störungen das Reisen vorübergehend unmöglich oder unerschwinglich machen, wird die Nachfrage nach Reise-Erlebnissen durch diese äußeren Einflüsse aufgeschoben, nicht aufgehoben – dabei allerdings auch modifiziert. Die Gäste kommen wieder, aber ihre Bedürfnisse und ihre Ansprüche ändern sich.
Das bedeutet, dass der Tourismus, global betrachtet, eine Wachstums- branche bleibt, aber in einem grundlegenden Wandel steckt. Dieser Wandel birgt – wie jede tiefgreifende Veränderung – hohe Risiken, aber zugleich viele Chancen und neue Möglichkeiten. Die Veränderung muss daher aktiv gestaltet werden, damit Risiken vermieden und Chancen genützt werden können.
Eine Teilnehmerin des Arena-Analyse-Panels fasst diese Ausgangslage treffend zusammen: „Reisen wird auch langfristig nicht aus der Mode kommen. Das Bedürfnis, zu reisen, ist überall auf der Welt zumindest unter urbanen Menschen stark ausgeprägt. Aber wir werden in den nächsten Jahren einen tiefgreifenden Wandel im Tourismus erleben, der die Branche von Grund auf verändern wird.“
Die vorliegende Arena Analyse hat insgesamt fünf starke Treiber des Wandels identifiziert. Vier davon betreffen sozusagen die Hardware. Um auf
sie zu reagieren, müssen Businessmodelle und Betriebsabläufe angepasst werden, zum Teil sind auch Veränderungen in den rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen nötig. Im Handlungsfeld V sind dagegen – um im Bild zu bleiben – Veränderungen an der Software gefragt, an der Art, wie Tourismus im gesellschaftlichen Umfeld gedacht und geplant wird, an den Werten, die das Gäste-Gastgeber-Verhältnis prägen. Es geht nicht zuletzt um die Frage, wie der österreichische Tourismus sich sieht, was er für sich und für das Land sein will.
Die ausführlichen Ergebnisse lesen Sie in der kompletten Studie, die im Downloadbereich zur Verfügung steht.